„22 Jahre nach Willy Brandts Zukunftszweifeln drückt sich der Gesellschaftszerfall der alten Integrationspartei SPD schon in organisatorischer Form aus. Ihre drei Klientelblöcke waren nicht länger unter einer Programmatik zu vereinen: die fest angestellten und sozialversicherten Angestellten des „Standorts Deutschland“; die liberalbürgerlichen, kulturell versierten, gut konsumierenden „Symbolproduzenten“; und schließlich die Arbeitslosen und Modernisierungsverlierer.“ (SPON vom 25. 0.1. 2009 [quote=Morotti;3272196]S)
Morotti hat die Lage der SPD sehr gut erkannt und dargestellt: weil es kein „Volk“ mehr gibt, haben Volksparteien keine Zukunft mehr – eine Aussage, die selbstredend auch auf CDU und CSU zutrifft.
Die Sehnsuch nach „Einheit“ (lateinisch: „Union“) entspringt einer gesellschaftlichen Sozialisation und Mentalität, welche „Diskussion“ als „Streit“ und „Kritik“ als „Nörgelei“ denunziert, die also mit dem wirklichen ALLMÄCHTIGEN, dem Herren aller Entwicklung / Evolution, dem WIDERSPRUCH nämlich, auf Kriegsfuß steht, weshalb sie ihn – den Widersprechenden, den Abweichler, den Anderen – ignorieren, eliminieren, liquidieren oder zumindest totschweigen, verdrängen, verleugnen, verbieten möchte /muss, „frei“ nach dem Motto: „Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein!!“
Die Sehnsucht nach „völkischer Einheit“ – die erste und mit über 8 Millionen Mitgliedern bisher einzig wirkliche „Volkspartei“ (Ein Volk! Ein Reich! Ein Führer!) hieß übrigens NSDAP und ihr Erfinder Adolf Hitler! – bricht sich in Deutschland ab und zu noch als „Sommermärchen“ Bahn, wird aber inzwischen auch von den vorletzten Idealisten als die Illusion erkannt, die sie in Wirklichkeit immer gewesen ist. Damit wird auch vom Bürger als Staatsbürger die Gesetzmäßigkeit anerkannt, nach der er als Wirtschaftsbürger – als Produzent und Konsument – ja längst schon lebt: die Gesetzmäßigkeit vom Egoismus als Triebkraft persönlichen Handelns, „frei“ nach dem Motto: „ich lebe im Hier und Heute – und nach mir die Sintflut!“
Parteien heißen mit Recht Parteien, sobald und solange sie als Pars pro Toto, als Teil eines äußerst widersprüchlichen, von antagonistischen Gegensätzen gekennzeichneten Wirtschaftssystems fungieren müssen. Der seit 100 Jahren sich entfaltende säkulare Trend (der auch die Entstehung und Potenzierung des Antisemitismus befördert hat!) besteht nun objektiv darin, dass die gesellschaftliche Totalität nicht mehr schlichtweg durch den Grundwiderspruch von „Kapital“ und „Arbeit“ gekennzeichnet ist, sondern vielmehr dadurch, dass nicht nur die Arbeitnehmer, sondern jetzt auch die breite Masse des schaffenden Kapitals von der verschwindend kleinen Kaste des spekulativen, des raffenden Kapitals EXISTENZIELL bedroht wird! Es handelt sich also um einen Grundwiderspruch neuer Art.
Dies wissen übrigens bereits mehr als 80 % aller Wahlbürger, aber sie finden im Parteienspektrum keine Partei vor, die das – sich hinter der Wachstumsideologie und dem Konsumterror versteckende – gemeingefährliche leistungslos Profitstreben bekämpft, welches unter dem „Schutzschirm“ der Globalisierung nichts weiter darstellt als den schlussendlich zum Scheitern verurteilten Versuch, das eherne Gesetz von der „fallenden Tendenz der Profitrate“ – zumindest im Hier und Jetzt und für den Spekulanten persönlich – auszuhebeln:
Ermittlungen bei der WestLB: Gier nach Boni beschäftigt erstmals Justiz
Bank-Manager sollen Kurs der VW-Aktie manipuliert haben, um sich mit geschönten Ergebnissen hohe Zusatzzahlungen zu sichern. Von Klaus Ott. In SZ vom 10. 8. 2009
Es frage sich deshalb jeder, ob, wie und WOZU er selbst zum Kollaborateur dieser „Bank-Manager“ genannten Kriegsgewinnler geworden ist – oder zu werden droht?! Und warum den Parteien der Schneid und die Kompetenz fehlen, dieser existenzgefährdenden Herausforderung professionell zu begegnen?!
Weil er sich selbst nicht politisch engagiert?! Aus Feigheit und / oder Inkompetenz?
27. 6. 2009
SPD-„Wahlkampf „2009
„Der Kämpfer“,
so ist der Leitartikel im sozialdemokratischen Parteiorgan vorwärts vom Juli 2009 überschrieben und die Rede ist von Frank-Walter Steinmeier, der „Kanzler aller Deutschen“ werden“will“: „Ja – ich will sozialdemokratischer Bundeskanzler werden“ sagte er in seiner Rede auf dem SPD-Parteitag in Berlin, „und der Funke sprang über. Am Ende gab`s zehn Minuten stehenden Applaus: „Jetzt geht`s los“ jubelten die Delegierten.“
Wer ist die SPD: „Die SPD ist Volkspartei, …. eine Partei für alle. Wir spielen nicht eine Gruppe gegen die andere aus. Nicht Rentner gegen Junge, nicht Unternehmer gegen Arbeitnehmer, nicht Frauen gegen Männer oder Osses gegen Wessis… wir kämpfen für die Verkäuferin und den Bauarbeiter. Aber genauso sind und bleiben wird die Partei der neuen Mitte. Für den jungen Unternehmensgründer, für den Computerprammierer, die Architektin oder die Grafik-Designerin. wir dürfen die Mitte der Gesellschaft nicht räumen. Und das werden wir auch nicht. Dafür stehe ich!…“
Wie stellt sich der Kandidat den „Wahlkampf“ vor: „Wir müsse rausgehen. in die Wohngebiete und Einkaufszonen. Zu den Straßen- und Kinderfesten. Zum Seniorennachmittag, vor die Betriebstore und in die Vereine … Wir haben die richtigen Antworten auf die Krise, wir haben das richtige Programm für die Zukunft unseres Landes. Deutschland braucht eine starke Sozialdemokratie. Deutschland braucht einen sozialdemokratischen Bundeskanzler. Gemeinsam schaffen wir das. Wir wollen und werden gewinnen…“
Was ist das Hauptkennzeichen dieser Rede: Auch FWS hängt der Illusion an, dass „kämpfen“ darin bestünde, die berechtigten „Systemzweifel“ (Peer Steinbrück) der politisch Interessierten an der Gestaltungskompetenz von Parteien im Allgemeinen und der SPD im Besonderen zu ignorieren, als einzigen „Gegner“ die Mitbewerber im Konkurrenzkampf um die knappen Parlaments- und Ministersessel auszumachen und den wirklichen Gegner mit den zwei Worten „marktradikale Ideologie“ zu belegen und schlankweg zu übergehen, weil die Thematisierung der WIDERSPRÜCHE, die unser Gesellschafts- und Wirtschaftssystem strukturell charakterisieren, nicht gekonnt wird, von ihrer Gestaltung ganz abgesehen.
Ich denke: wenn der Genosse Steinmeier der „Kanzler aller Deutschen“ werden will, dann hat er nichts begriffen vom Gebot der Stunde, das darin besteht, auch und gerade das „deutsche“ spekulative Finanzkapital entmachten zu müssen!
Das aber muss man wollen – und können! Denn das bedeutet wirklich Kampf, Kampf gegen das raffende Finanzkapital, das mit seiner obszönen Strategie einer leistungslosen Geldvermehrung der superreichen Geldbesitzer die Enteignung durch Verschuldung des schaffenden Kapitals – Unternehmer wie Arbeitnehmer – und der von Sozialleistungen abhängigen Nicht-Erwerbstätigen beschleunigt.
Stichworte: Staatsverschuldung, Gefährdung der Altersversorgung, Steuererhöhung:
„Die Rechnung kommt erst noch“: Die Last für künftige Generationen
Der Volkswirt Wolfgang Franz leitet das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim und berät als einer der fünf Wirtschaftsweisen die Bundesregierung.
SZ: Der Haushaltsentwurf für 2010 sieht die höchste Neuverschuldung der Bundesgeschichte vor: 86 Milliarden Euro zulasten künftiger Generationen. Ist das gerecht?
(…) Franz: Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten: Die Ausgaben zu kürzen oder die Steuer zu erhöhen.
SZ: Wen würden diese Optionen am härtesten treffen?
Franz: Man muss diskutieren, ob man eher die oberen Einkommensschichten belastet oder ob alle Opfer bringen müssen. Man muss aber noch etwas im Auge behalten: Steigt der Einkommensteuersatz zu stark, so fehlt immer mehr Menschen (in den oberen Einkommensschichten – GW) ein Anreiz, arbeiten zu gehen.
(SZ vom 26. 6. 2009)
OECD-Studie
(…) Laut der Studie haben private Pensionsfonds in den OECD-Ländern im vergangenen Jahr 23 Prozent ihres Wertes oder 5,4 Billionen US-Dollar verloren. Die größten Verluste wurden in Irland, Australien und den USA verzeichnet. In allen drei Ländern sei ein besonders großer Teil des Kapitals in Aktien investiert gewesen.
(SZ vom 27. 6. 2009)
Hervorragend der Artikel von Harald Werner:
POLITIK ALS BERUF
Eine Klasse für sich selbst
Auszug:
Ein Widerspruch in sich selbst
Ist das nun eine Klasse, die da in der Politik von der Politik lebt? Im herkömmlichen Sinne wohl kaum, aber wer Politik zu seinem Beruf macht, begibt sich zwangsläufig auf ein Praxisfeld, auf dem sich kaum jemand halten kann, ohne die fragwürdigen Praktiken dieses Feldes zu verinnerlichen. Paradoxerweise entspringen diese Praktiken einem gesellschaftlichen Fortschritt, nämlich der demokratischen Wahl öffentlicher Ämter. Dieser Fortschritt verkehrt sich jedoch sofort in sein Gegenteil, wenn eine Abwahl nicht nur die Karriere beendet, sondern sogar die materielle Existenz in Frage stellt und mit dem Verlust öffentlicher Anerkennung geahndet wird. Wobei die persönliche Angst vor dem Mandatsverlust, der Regierungsmehrheit oder sogar der parlamentarischen Vertretung, nicht nur die Mandatsträger umtreibt, sondern auch ihre Mitarbeiterinnen und die Hauptamtlichen In den Parteizentralen, deren Arbeitsplätze an der Wahlkampfkostenerstattung hängen. Für sie alle hat die wöchentliche Sonntagsfrage die gleiche Bedeutung, wie der DAX für das Management der Konzerne. Das Auf und Ab bei diesen Kurven verselbständigt sich, ob es um Aktienkurse oder Umfrageergebnisse geht.
Wer von der Politik lebt und vor allem leben muss, steht in einem permanenten Widerspruch zwischen der Durchsetzung politischer Überzeugungen und der Sicherung seines politischen Arbeitsplatzes. Das Problematische an diesem Widerspruch ist, dass ….
Mehr http://www.haraldwerner.homepage.t-online.de/cms/index.php?id=228
Wie heißt es doch heute so zutreffend:
SPD sieht Status als Volkspartei schwinden
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2010-01/spd-reform-volkspartei
Warum erkennt die „Führung“ das erst heute, warum nicht schon 2004?!