Die hier http://www.spiegel.de/kultur/gesells…645029,00.html erörterten Verhältnisse lassen sich unter der Frage zusammenfassen, worin denn das Wesen dessen bestehen soll, was die Plappernde Kaste als „Wahlkampf“ bezeichnet bzw. was man uns von interessierter Seite als Wahl-„Kampf“ verkaufen will?
Ich verstehe unter „Kampf“ in diesem zwischenmenschlichen Kontext jede geistige und / oder physische Handlung, die darauf abstellt, eine eigene Zielsetzung auch gegen den WIDERSTAND DRITTER zu erreichen, wobei dieser „Widerstand“ kundenorientiert – also zwecks Aufwertung – oder siegorientiert – also zwecks Entwertung – motiviert sein kann, und wobei dieser „Dritte“ auch in mir selbst stecken, also mein Alter Ego sein kann! Als Beispiele nenne ich den Süchtigen oder den Zweifelnden im Kampf mit sich selbst, oder den Verteidiger / Angreifer im Kampf mit seinem Feind, seinem Gegner, oder seinem Freund.
Betrachtet man das Phänomen „Wahlkampf“ durch diese meine Brille, dann fällt auf, dass es hierzulande keine Themen gibt, die man als wirklich kontrovers bezeichnen könnte. So werden – statt der historisch angezeigten fundamentalen Kritik – von jedem beliebigen Kandidaten vielleicht bestimmte „negative Charaktermerkmale“ des konkurrierenden Kandidaten oder Programmsätze von dessen Partei thematisiert, deren objektive Nichtigkeit, deren objektive Belanglosigkeit inzwischen aber fast jedem Wähler bewusst ist. Diesen Trend zur Allparteienregierung („Opposition ist Mist!“) kann man als Folge einer „Sozialdemokratisierung Deutschlands“ verstehen: „nicht siegen, nur dabei sein ist wichtig!“
Alle Wähler wissen / ahnen /spüren es, dass die von jedem Kandidaten behaupteten „inhaltlichen“ Unterschiede zum Mitbewerber angesichts der normativen Kraft der faktisch Herrschenden (ich spreche vom Tsunami des raffenden Kapitals) in Wirklichkeit Petitessen / Peanuts sind – und sie erkennen / ahnen, dass es den um ihre Berufung auf eine gut dotierte Planstelle Buhlenden an dem fehlt, was einen wirklichen Politiker auszeichnet: an einer professionellen Beziehungs-, Führungs- und Kampfkompetenz nämlich, die im Rahmen einer Partei – die die Bezeichnung Partei verdiente – zum Kampf gegen die wirklichen Feinde jenes demokratischen und sozialen Bundesstaats, den die Verfassungsgeber gewollt hatten, befähigen würde: „Eigentum verpflichtet!“ (Art. 14 GG).
Den Verfassungsauftrag (!) an die Parteien, in diesem (!) Sinne „bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken“ (Art. 21 GG) – konkret: Politik „zum Wohle des deutschen Volkes“ (Art. 56 GG) und nicht jener verantwortungslos spekulierenden Bezieher von leistungslosem Geldeinkommen zu betreiben – das würde (Vision) den Einzelnen aus seiner gesellschaftlichen Resignation, seiner politischen Lethargie reißen und ungeahnte konstruktive Kräfte freisetzen!
„Wahlkampf“ vor Ort:
Meine Kritik an der nicht vorhandenen Kampfkompetenz wird von Reinhard Mohr folgendermaßen illustriert:
„Steinmeier in der „Wahlarena“ –
Wut, Schweiß und Gähnen:
Bombardiert von den Fragen ungnädiger Bürger, wollte Frank-Walter Steinmeier in der ARD-„Wahlarena“ mit Gründlichkeit punkten – und geriet doch nur in die Rolle des schwitzenden Opfers. Vielleicht hätte er den Spieß einfach umdrehen und das Wagnis unbequemer Wahrheiten eingehen sollen. (…)
Überhaupt würde man sich viel häufiger wünschen, dass die Kandidaten in der politischen Stier-Arena den Spieß einmal umdrehten und aus ihrer medial inszenierten Opferrolle herausträten. Dazu müssten sie freilich das Wagnis eingehen, sich beim Wahlvolk offen unbeliebt zu machen – zum Beispiel mit einigen jener sprichwörtlich „unbequemen Wahrheiten“, die am Ende keiner hören will.
(SPON vom 09. September 2009, http://www.spiegel.de/kultur/tv/0,1518,647820,00.html)
Heribert Prantl ist der erste Journalist, der sich traut, die Dinge so beim Namen zu nennen, wie ich das schon seit Jahren tue, jetzt, in der SZ vom 31. August 2009:
Er fordert vom SPD-Führungspersonal den „Mut“, den er erst jetzt – aber immerhin! – selbst aufbringt und überzeugend begründet! Hier ein Auszug aus seinem Kommentar:
„Den großen Streit mit der Union kriegt die SPD jetzt auch – über ihr Verhältnis zu den Linken. Hier hat sich die SPD bisher töricht verhalten, hier muss Steinmeier offensiver werden: Es geht um rot-rote Koalitionen; im Osten Deutschlands sind sie Normalität. Aber der CDU gel-ten sie solange als demokratischer Hochverrat, wie sie nicht selber in einer solchen Koalition regiert. Die Union wird immer neue Rot-Socken-Kampagnen aufziehen. Davor muss sich die SPD nicht fürchten, auch nicht vor der Unterstellung, dass sie demnächst im Bund mit Rot-Rot regieren will. Fürchten muss sich die SPD vor ihrem eigenen furchtsamen Verhalten, vor ihren eigenen gewundenen oder wortbrüchigen Erklärungen.
Die Linke ist nun spätestens mit ihrem Triumph im Saarland von einer ostdeutschen Volkspartei zu einer gesamtdeutschen Partei geworden. Steinmeier erklärt Koalitionen mit diesen Linken verschämt zur Sache der Landtagsfraktionen, beinah so, als handele sich um eine Art Bordellbesuch. Die Bundes-SPD benimmt sich, als seien die Linken nicht Fleisch von ihrem Fleisch, sondern von den vier Gegnern im Fünfparteienland der allergrößte. Das ist so unlogisch, dass es ihr niemand abnimmt.
Alle strategischen Erklärungen, welche die Bundes-SPD bisher zu Rot-Rot abgegeben hat, waren defekt: Erst gab es eine pauschale Ablehnung jeglicher Kooperation; dann wurde diese für den Osten akzeptiert, aber für den Westen kategorisch ausgeschlossen; jetzt wird sie auch für den Westen akzeptiert aber für den Bund ausgeschlossen. Die SPD hat Angst vor der öffentlichen Meinung, die sie mit ihrem timiden Verhalten selbst beeinflusst.
Die SPD-Begründung für die Ablehnung eines Bündnisses auf Bundesebene ist unglaub-würdig: Die SPD verweist auf außenpolitische Unzuverlässigkeit der Linken, festgemacht an Afghanistan und am Lissabon-Vertrag. Bei Lissabon sind die Linken von der CSU und bei Afghanistan vom großen Teil der Bevölkerung nicht so weit weg.
Am ehrlichsten wäre es, Steinmeier würde sagen: Die Koalition mit den Linken in den Ländern soll erproben, ob eine Koalition im Bund in vier Jahren oder später möglich ist. Das wäre, zugegeben, ein wenig mutig. Aber ganz ohne Mut kommt die SPD nicht weiter.“
DER Essay der Woche:
Elke Schmitter: Angst und Biedersinn
„Eigentlich müssten diese Wahlen große Dinge entscheiden (…)“
In: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,650074,00.html