Was ist „Konservatismus“?!
work in progress: 01. 03. 2015
Dass die Konservatismus-Frage überhaupt aufgekommen ist, das ist der Debatte über die Thesen von Thilo Sarrazin geschuldet, in deren Gefolge dann Erika Steinbach (CDU) Ansichten entäußert hatte, die ebenfalls als Ausdruck einer konservativen „Geisteshaltung“ bewertet wurden.
Wer oder was ist konservativ? Für den Bundestagsabgeordneten Matthias Zimmer heißt „konservativ sein, für Verlässlichkeit der Lebensumstände zu sorgen, also für Beständigkeit so weit wie möglich und Veränderung so weit nötig“. In diesem Sinn ist „ist die Union die einzige und wahre Heimat aller Konservativen“ (SZ, 20. 09. 2010), eine Ansicht, die ja offensichtlich auch mit dem Fazit von Franz Walter übereinstimmt, der sich dahingehend äußert, dass allerdings „die klassische Partei des Konservatismus an der Spitze dieser Republik mit einem klugen, ja weisen Konservatismus längst nichts mehr anzufangen“ wisse, was wiederum von Gerd Langguth bestritten wird, der die von ihm aufgestellten „Kriterien konservativer Politik“ in der „Union“ verkörpert sieht.
Wer oder was ist also „konservativ“?!
Nicht nur in den hier zitierten Verlautbarungen, sondern landläufig wird „konservativ“ mit der Ideologie von Menschen gleichgesetzt, die politisch am „rechten“ Rand des Parteienspektrums verortet werden, bezogen also auf Menschen, für die Wörter wie „Volk“, „Deutschland“, „Vaterland“, „Elternrecht“, „Eigentum“ und „Sicherheit“ beispielsweise noch eine positive Bedeutung aufweisen, weil sie in ihrem Selbstverständnis „Werte“ darstellen, die es zu „bewahren“ gelte. Und zwar vorzugsweise durch Institutionen, deren Repräsentanten ihren jeweiligen Auftrag „ordentlich“ und „anständig“ ausführen: vorzugsweise durch Familienmitglieder (Vater und Mutter) und andere Führungspersönlichkeiten.
Da nun auch ein „Linker“ nichts dagegen haben dürfte, wenn beispielsweise Mitbürger sich anständig und verlässlich benehmen oder wenn die Gleichheit vor dem Gesetz oder die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu einem wertvollen Mitglied seiner Bezugsgruppen gewährleistet wäre, so könnte auch ich mich als „Konservativen“ verstehen – würde mich aber deswegen nicht als solchen bezeichnen, weil dieser Begriff historisch ein Eigenleben gewonnen, indem er die Bedeutung eines Etiketts angenommen hat, eine Entwicklung, die ich nicht ignorieren kann.
Denn: was mich von einem wirklichen Konservativen unterscheidet, das ist Freiheit von Angst vor Unbekanntem, genauer gesagt: ich habe keine Angst mehr vor dem WIDERSPRUCH, der doch nichts anderes ist als das philosophische Wort, der BEGRIFF FÜR LEBEN !
Was ich unter ANGST verstehe, das möchte ich in der hier gebotenen Kürze so verdeutlichen:
ANGST vor etwas oder ANGST vor jemanden ist – da dürfte es wohl keinen WIDERSPRUCH geben – die Triebkraft für konservatives Verhalten! Wer also vom Konservativismus profitieren will, der muss seine Kritiker entmutigen, der muss in seinen Zielgruppen ANGST entfachen, schüren, verbreiten und konservieren KÖNNEN! Das geht am Sichersten über Terrorismus, Alarmismus und „repressive Toleranz“!
Und auch dass „Angst“ immer und ausschließlich VERLUST-ANGST ist, die sich immer und ausschließlich auf den Verlust von etwas für mich persönlich WICHTIGEM bzw. WESENTLICHEM – kurz: WERTVOLLEM – bezieht: auch das ist eine These, die (sorry!) von niemandem widerlegt werden könnte! (Oder doch: ich liebe den WIDERSPRUCH!)
Was also den Konservativen auszeichnet, woran man ihn erkennen kann, das ist nicht sein Bestreben, „Bewährtes zu bewahren“, sondern das ist die QUALITÄT seiner Ängste, genauer gesagt: das ist die CHRONISCHE Angst, beispielsweise davor, seine Arbeit, seine Kinder, sein Erspartes, seine Gesundheit, sein Ansehen zu „verlieren“ (ein vielschichtiger Begriff!) , noch genauer gesagt: die Angst davor, aus Gründen der persönlichen „Unzulänglichkeit“ die KONTROLLE über sich selbst und über das für ihn WERTVOLLE zu verlieren und dadurch – wie auch immer – selbst entwertet zu werden.
Diese Angst – vor dem „Alter“, vor „Ablehnung“, vor dem WIDERSPRUCH – zu erzeugen, das ist die Kernaufgabe der plappernden Kasten, denn damit lässt es sich unendlich Kohle machen! Mit dem Resultat, dass es an mutigen Politikern, Journalisten, (Hochschul)Lehrern etc. mangelt.
Anders dieser Mann: Ken Jebsen hat keine Angst, öffentlich seine Gegen-Meinung zu äußern, obwohl auch er dafür geächtet wird.
Nicht Angst als solche, sondern das Chronische, das Gemachte an den Ängsten ist es also, was den Konservativen vom Gestalter unterscheidet, den ich hier als Idealtypen einführen möchte.
Während der Gestalter sich dadurch auszeichnet, dass er seine persönlichen Beziehungen zu den ihn betreffenden Elementen und Bedingungen seines Umfeldes – Beispiel: ein gutes Überleben in der Fremde – dank seiner professionellen Sach-, Beziehungs-, Führungs- und Kampfkompetenz als intellektuelle, psychische und physische Herausforderung sowohl bewerten, als auch annehmen, als auch „souverän“ meistern kann (s. u. „Kommentar“), so fühlt sich der Konservative als Opfer der Herausforderungen und reagiert dementsprechend unprofessionell, genauer gesagt: verärgert, wütend, hasserfüllt, ängstlich, feige, überangepasst, hörig, unterwürfig, opportunistisch – und aggressiv.
Konservativ zu sein ist also nur vordergründig eine Frage der „Gesinnung“, im Grunde aber ist diese Verhaltensweise ein Resultat von Inkompetenz im betreffenden Rollenfeld (Beispiel als „Vater“), weswegen es nicht verwundert, dass Menschen, die irgendwann meinen, sie hätten nun aber „ausgelernt“, synchron dazu eine konservative Weltanschauung ausbilden: „wer als junger Mensch kein Kommunist gewesen war, und wer es als Älterer noch ist, der hat nicht richtig gelebt“, heißt es doch. Ein aktuelles Beispiel ist die Vita des Journalisten Manfred Bissinger.
Konservative, das sind nach meiner Erkenntnis Persönlichkeiten, die mit den Herausforderungen des Lebens (s. o.) – also mit allem und jedem, was ihnen „fremd“ (geworden) ist – nicht (mehr) konstruktiv – sprich: lernend und gestaltend – umgehen können, das sind also Menschen, die Angst vor dem Verlust ihres Tauschwerts – sprich: des Gebrauchswertes ihrer Persönlichkeitseigenschaften für Dritte (und damit auch für sich selbst): liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst – und vor dem damit verbundenen Verlust von persönlichem Status haben; die Rede ist hier von Menschen, die sich (nicht selten unbewusst, doch immer chronisch) „Sorgen“ machen, beispielsweise um ihr Auskommen mit dem Einkommen oder um ihre Vitalität oder ihre Attraktivität und/oder ihre Beziehungen – kurz: um alles, was für sie WERTVOLL ist (oder sein sollte/möchte)!
Und diese Persönlichkeiten finden ihre „wahre Heimat“ beileibe nicht nur in der „Union“ als der „klassischen Partei des Konservativismus“, sondern in ausnahmslos (!) allen anderen deutschen Parteien, weil eben das Gros der Deutschen/Menschen als solcherart sozialisierte OPFERMENTALITÄTER genau diese „deutsche Angst“, diese chronische Angst „vor der Zukunft“, vor Unbekanntem, kultiviert hat, die den Beziehungsunfähigen, den Hilflosen – das „Opfer“ eben – auszeichnet.
Die meisten von uns empfinden und gebärden sich nicht nur als Ohnmächtige – was sie zugleich ärgerlich, wütend und traurig bis resignativ, ja depressiv macht – nein: sie sind es objektiv auch! Wobei – das kann hier nur angemerkt werden – es den Meinungsmachern gelungen ist, die Kernquelle der Angst: die Todesangst (als Angst vor dem Verlust des Lebens) mit dem irrationalen – und deswegen profitträchtigen – Versprechen „ewiger Jugend“ (forever young) zu „kultivieren“ und auch für die Aufrechterhaltung von verbrecherischen Herrschaftsstrukturen zu instrumentalisieren. (Mehr)
Und das macht es auch, warum keine der politischen Parteien den Hauptprofiteur unserer Ohnmacht – den Menschheitsfeind No. 1: das raffende Kapital – bekämpft (ihre „Führungskräfte“ haben ja allein schon Schiss davor, diesen Begriff zu durchdenken, sie sprechen maximal von „Heuschrecken“ und anderem Getier), sondern warum sie allesamt ihren „Wahlkampf“ als Oberflächen-Gerangel inszenieren, indem sie in Endlosschleifen um Themen der Schadensbegrenzung wie „innere Sicherheit“, „Rentensicherung“, „Arbeitsplatzsicherung“, „Gesundheitssicherung“, „Wachstumssicherung“, „Geldwertstabilität“ etc. herumkreisen, wo es doch knallhart immer – und für die Menschheit existenbedrohlich – um die Sicherung der Besitzstände der herrschenden und der plappernden Kasten geht. (Beleg: die Gesetzgebung der rotgrünen, der schwarzroten und der schwarzgelben Koalition).
Auch diese professionelle Verschleierung der Krisen-Ursachen hat selbstredend einen HAUPTGRUND, gehört doch – gerade wegen ihrer kämpferischen Impotenz, wegen ihrer „Käuflichkeit“ (s. Kommentar) – auch die plappernde Kaste zu den wirklichen Profiteuren des Konservativismus. Und das wäre dann ja wohl auch der „wahre Grund“ dafür, warum die CDU/CSU „Identitätsprobleme“ mit dem Konservativismus als ihrem „Markenkern“ bekommen hat, ist doch „konservativ“ – sprich: karrieristisch – längst schon kein Alleinstellungsmerkmal der Union mehr.
Wenn möglichst viele Wirtschaftsunternehmen – und auch die Parteien gehören dazu – mit dem Alarmismus, mit der Skandalisierung, mit der Hysterisierung – also mit der Verfertigung und Verfestigung von Ängsten – Kasse machen wollen, dann ist der „Konservativismus“ als Lehre von der „Neutralisierung/Eliminierung“ der Systemkritik durch repressive Toleranz eben in „der Mitte“ der Gesellschaft angekommen – und hat sich damit als signifikantes Unterscheidungsmerkmal von politischen Parteien selbst negiert: alle sind jetzt „politische Mitte“!
Oder: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“.
Oder: „ein Volk, ein Reich, ein Führer“!
Konservativ ist derjenige, der den WIDERSPRUCH nicht loben oder sogar lieben kann, der das Risiko scheut, das in den Herausforderungen der Veränderung, der Entwicklung, des Fortschritts begründet liegen. Konservativ ist derjenige, der die Dialektik negiert, die im Begriff der Aufhebung enthalten ist, und zwar
- Aufhebung im Sinne von aufheben, „bewahren“ des Brauchbaren, des Wesentlichen
- Aufhebung im Sinne von negieren, „zerstören“ des Unbrauchbaren, des Unwesentlichen sowie
- Aufhebung im Sinne von höher heben, auf eine neue Stufe der Entwicklung hieven.
Wer das Wesentliche bewahren will, muss das unbrauchbar gewordene hinter sich lassen (können): ja KÖNNEN:
Der professionelle Umgang mit dem WIDERSPRUCH, der ja die analytische Bezeichnung für LEBEN ist, erfordert also das professionelle WISSEN UND KÖNNEN in punkto Fach- und Sachkompetenz sowie in punkto Beziehungs-, Führungs- und Kampfkompetenz: alles muss erlernt werden – und zwar professionell!
Gemach,
mir kam halt nach Lektüre Ihres Posts nur kurz der Gedanke, wie man denn „konservativ“ im positiven Sinne deuten könnte. Und das habe ich dann anhand einiger Beispiele versucht, deutlich zu machen.
Ich ging hier, wie ich finde, ähnlich wie Sie von dem Typus des „Gestalters“ und der Beziehung zu seinem Umfeld aus.
Ansonsten gilt: das „Handwerk der Begriffsaufweichung“ ist nicht mein Metier.
Was das P. S. angeht, so fehlt dort ein Wort. Es müsste so anfangen: „Wer dazu in der Lage ist, ungezwungen …“ Diese Korrektur ist in der Tat nötig.
P. S.
So, und jetzt habe ich doch tatsächlich in Bezug auf Sie die Erfahrung gemacht, dass ich „wirklich nachdenken kann“.
Thanks for that.
Ich habe die Schnaujze voll von Leuten von Ihnen, Leuten, die von sich behaupten, links zu sein, im Grunde aber nur versuchen, Ihre geistigen Monologe auf aggresive Art und Weise anderen, wenigen, möglichen Lesern, die wohl aber leider zu oft ausbleiben, aufzukleben. Und ich rate Ihnen ernsthaft, die Etiketten, die Sie in Ihren geistigen Schubladen aufbewahren, nicht an mir auszuprobieren.
We are done.
No more dialogue.
Sorry, Philgeland: aber ich weiß Ihren Wutausbruch nicht zu deuten – jedoch ein Beleg für „wirklich“ denken können ist er nach meinem Verständnis nicht..
Fakt ist doch: ich hatte Ihnen am 2. 10. eine Verständnisfrage gestellt, und Sie reagieren nun darauf in einer mich beleidigen wollenden Art und Weise, die bei mir den Eindruck hinterlässt, dass es Ihnen genau nicht um einen „dialogue“, sondern – korrigieren Sie mich bitte – auch in Ihrem Beitrag vom 1. 10 um eitle, bildungsbürgerlich garnierte Selbstbespiegelung gegangen ist. Aber nicht um mein Thema?
Wenn ich Sie durch meine Frage gekränkt haben sollte, so ist das solange Ihr Problem, wie Sie mir meinen Anteil daran nicht nachgewiesen haben. Ich bitte Sie also darum.
Teurer Philgeland:
Was, bitteschön, verstehen Sie unter einem „kreativen“ oder „ungezwungenen“ oder „positiven Umgang“? Halten Sie diese Worte etwa für Begriffe, also trennscharfe Unterscheidungskriterien, oder weichen Sie nur einer Beantwortung meiner Behauptung aus, derzufolge „konservativ“ einen rückwärtsgewandten, eine das egoistische Besitzstandsdenken propagierende und verteidigende politische Haltung charakterisiert – nicht aber, worauf Sie abzustellen scheinen, die hinreichende Bedingung im philosophischen Verständnis von „Aufhebung“: neben der „Negation“ und dem „Fortschritt“ also auch die „Bewahrung“ des für die revolutionäre (!) Klasse „Bewährten“?!
Diese Konservierung nämlich wäre eine Selbstverständlichkeit für jeden wirklichen Revolutionär, eine Auszeichnung, die Marx/Engels im Kommunistischen Manifest (auch) der Bourgeoisie seiner Epoche zugesprochen haben.
Wie also bezeichnen Sie die politisch Nicht-Kreativen (Adenauer: „Keine Experimente!“)? Für mich sind das „Konservative“, Restaurative.
Gerd Weghorn
Sich auf Bestehendes zu beziehen, es zu schätzen, es aber gleichzeitig als Grundlage für eine Weiterentwicklung (in welchem Bereich auch immer) zu nutzen – das wäre meines Erachtes eine positive Deutung von „konservativ“.
Beispiel Kunst: Picasso hatte eine klassische (konservative) Ausbildung, bevor er sich weiter entwickelte (weiter entwickeln konnte?). Und gute Musiker, die von der Klassik zum Jazz oder anderen Richtungen überwechselten, gibt es genug …
Anderes Beispiel: alte, „tote“ Sprachen zu unterrrichten ist ein konservatives Unterfangen. Trotzdem kann (!) eine solche Lernerfahrung unser Leben bereichern, WENN wir nicht zu konservativ damit umgehen, sondern sie als „stimulierenden Fundus“ begreifen.
Nun mag man mich zu Recht als „konservativ“ einschätzen, nachdem ich obige Gedanken aufgeführt habe. Ich bin es übrigens auch, wenn es um gewisse Grundregeln menschlichen Zusammenlebens geht.
Damit hat sich die „Schnittmenge“ allerdings schon erschöpft. Die meisten Konservativen sind nämlich leider diejenigen, die sich an etwas festhalten, weil sie Angst haben.
Und diese Angst ist nicht nur „German“.
P. S.
Wer ungezwungen und kreativ mit einem „konservativem Erbe“ umgeht, der ist dazu in der Lage, sich selbst besser zu erkennen und einer positiven Veränderung fähig.
Niemand von uns ist letzten Endes „vom Himmel gefallen“.
Selbstdarstellung eines GESTALTERs namens Amir Kassaei:
(SZ v. 20. 9. 2010; Interviewer: Angelika Slavik)
Die Führung und die Wählerschaft von Die Grünen wird / ist „konservativ“, meint Franz Walter: