Widerspruch ist nicht gleich WIDERSPRUCH

Hört, hört:

„WIDERSPRUCH ist gefährlich! Er ist gefährlich für die, die ihn wagen: Der Widersprechende wird marginalisiert und pathologisiert, nicht mehr eingeladen und gelegentlich totgeschlagen. Er ist gefährlich für den Status quo: Für die herrschende Meinung, für die bequeme Ideologie, für die einfache Antwort.
WIDERSPRUCH wird unterdrückt, aber nie ausgemerzt.“
 

Klingt gut und hätte – bis auf den letzten Halbsatz – auch von mir sein können, habe ich doch schließlich bereits vor fünf Jahren ein Dialogbuch zum Thema „wirklich Denken können“ veröffentlicht, wo mit dem schönen Untertitel „wie ich den WIDERSPRUCH lieben lernte“ von mir schon die mit der „Professionalisierung meiner Beziehungs-, Führungs- und Kampfkompetenz“ verbundene Zielsetzung des Buches hervorgehoben worden ist: den WIDERSPRUCH als den großen Beweger vor dem Herren würdigen KÖNNEN!

Buchtitel DialogbuchDiese Tatsachenfeststellungen entnehme ich vielmehr der ganzseitigen Anzeige einer „Berlin Debating Union e. V.“ (Veranstalter), die damit in DIE ZEIT vom 19. 12. 2012 für das Sponsoring jener „33. Weltmeisterschaft im studentischen Debattieren“ geworben hat, die zwischen dem 27. Dezember und dem 3. 1. in Berlin „zelebriert“ (werden) wird – genau jener „liberalen“ Wochenzeitung im Übrigen, der ich noch zu Beginn des Monats gerade die „Ausmerzung“ meines WIDERSPRUCHS aus ihrem Debatten-Organ ZEIT-Online hatte vorwerfen müssen.

Da die Veranstalter jener WORLD UNIVERSITIES DEBATING CHAMPIONSHIP (Weltmeisterschaft) sich geschäftsinteressiert auf dem Feld tummeln, auf dem ich – wenn die Celebration am 3. 1. wie die Schaumkrone auf dem Glas frisch gezapften Pils verflogen sein wird – mit DIALOGBUCH und BLOG auch weiterhin wieder allein auf weiter Flur stehen werde, da die Veranstalter also für mich und meinesgleichen so warme Worte gefunden haben, möchte ich diese hier auszugsweise referieren:

„Erfolgreich oder gescheitert, nie ist er vergebens. Die den WIDERSPRUCH wagen, verändern sich und ihre Gesellschaften. Sie nehmen die ihnen verweigerte Freiheit und gewinnen die Würde und das  Glück, selbstbestimmter Herr ihres Schicksals zu sein. Die Kraft ihres Widerspruchs ermutigt die Zögerlichen, lässt Befehlsempfänger denken und Mitläufer stolpern.“
 

Bei näherem Hinsehen stellt sich allerdings heraus, dass diese Würdigung nicht uns gilt – dem Fähnlein Wieselschweif der sieben wackeren Nestbeschmutzer und Wehrkraftzersetzer („Pazifisten“!) Deutschlands, die doch „in einer Gesellschaft der Freiheit“ leben – sondern denen, die dieses Glück nicht gehabt hatten, denn (man halte sich fest):

„Deutschland wird am Hindukusch verteidigt, wenn eine Pakistanerin das Kopftuch abnehmen will. Unsere Werte triumphieren, wenn sie es darf.“
 

Da sich in 2013 auch die Veröffentlichung des Kommunistischen Manifests von 1848  zum soundsovielten Male jähren dürfte, möchte ich mir mit diesem Zitat meinen eigenen Kommentar zum Thema „Wertefeldzug am Hindukusch“ schenken:

„Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterte Kommunikation (!) alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation; (…) sie zwingt sie, die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen, d.h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde.“
 

Marx und Engels haben also vor 165 Jahren bereits durch ihr „Wirklich-Denken-Können“ die totalitäre Zielsetzung der Bourgeoisie beim Thema „Freiheit und Democracy“ (BB) auf den Punkt namens „Globalisierung“ bringen können, und dies nicht durch „debattieren“, sondern durch wirklich (!) denken können.

Dass die Veranstalter mit ihrer Debating-Schulung genau diese – von mir kritisierte – „zivilisatorische“ Zielsetzung verfolgen, sprechen sie eigentlich auch unumwunden aus, wenn sie ihr Kosten-Nutzen-Kalkül  in folgende triumphierenden Sätze fassen:

„Mühsal und Rückschlag dürfen nicht zermürben, sondern sind zu erwarten, wenn man den endlos erscheinenden Kampf für den gerechten Widerspruch aufnimmt. Sie dürfen auch nicht vergessen lassen, welche Triumphe wir bereits errangen: Ein demokratisches Osteuropa und ein friedlicher Balkan. Südafrika als Regenbogennation vereint in Wahrheit und Versöhnung und Asien als Kontinent von Halbleiter und Mittelschicht.
 
Jenseits unserer moralischen Verantwortung ist unser Schicksal in einer interdependenten Welt, in der Kohle und Kohlendioxid, SARS und seltene Erden Ländergrenzen mühelos überwinden, abhängig vom Recht auf Widerspruch auch in den BRICS, PIGS und -stans. Jedes Land freier Bürger ist zusätzlicher Partner im demokratischen Frieden. Jeder Markt freier Innovation eröffnet unserer Wirtschaft Chancen und gibt uns neue Produkte. Jeder Kokabauer, der Kaffee anbaut und jeder Gotteskrieger, der mit moderater Feder Gehör findet, erhöht unsere Sicherheit. Und auch wenn wir Freiheit als Recht a priori postulieren, legitimieren wir dieses Recht, indem wir seine Allgemeingültigkeit demonstrieren: Deutschland wird am Hindukusch verteidigt, wenn eine Pakistanerin das Kopftuch abnehmen will. Unsere Werte triumphieren, wenn sie es darf.“
 

Zum Thema „Kampfkompetenz“: interessant im Zusammenhang dieser Erörterung des Nutzens von WIDERSPRUCH im Debating ist die Begrenzung zumindest des „Kampfes“ auf „Kampf für den gerechten Widerspruch“ – so, als ob es den gerechten bzw. einen ungerechten Widerspruch überhaupt geben könnte. Was gemeint ist, das ist dem Profi schon klar, doch würde man vom gerechtfertigten Widerspruch schreiben, so müsste man auch den ungerechtfertigten definieren – und wer will das schon?!

Man vergegenwärtige sich nur noch einmal das gerade zitierte Triumphgeschrei der Veranstalter vom „demokratischen“ Osteuropa und ihr mit dem Gauckschen Freiheitsgeschwurbel vom „Recht a priori“ verbundenes Dogma vom Naturrecht auf militaristische, auf kriegerische Durchsetzung „seiner Allgemeingültigkeit“, um zu verstehen, dass das, was hier als „Demonstration“ gefordert wird, von Brecht schon vor 65 Jahren mit „Monstranz“ als Camouflage des Kriegerischen denunziert worden ist:

Dann in Kutten schritten zwei
Trugen 'ne Monstranz vorbei.
Wurd die Kutte hochgerafft
Sah hervor ein Stiefelschaft.

Die Veranstalter verfehlen genau aus diesem Grunde die praktisch-politische Quintessenz meiner Arbeit, wenn sie sich damit bescheiden, eine Lanze zu brechen für den Widerspruch als „notwendigen Mechanismus“ für „unsere westlichen Demokratien“, für die „Wirtschaft“ („kreative Zerstörung“), für die Wissenschaft („letztgültiges Werkzeug“), wenn sie sich stark machen also für den Widerspruch als rein rhetorisches Stilmittel „nach festen Regeln, die ihren Ursprung im 19. Jahrhundert (!) an traditionsreichen britischen Universitäten haben.“ Vermutlich gemeint ist der British Parliamentary Style.

Diese Methode jedenfalls ist dadurch gekennzeichnet, dass sie nur die Widersprüche anerkennt und zulässt, die durch rhetorische Stilmittel auflösbar erscheinen, und dementsprechend antagonistische Widersprüche – Gegensätze, die nur im praktischen Kampf aufgehoben werden können – als „ungerechtfertigte Widersprüche“ diskreditiert und dämonisiert.

Das Beispiel „deutsche Staatsräson“ in Sachen „Sicherheit Israels“: vermittels der per Antisemitismus-Vorwurf durchgepaukten Tolerierung des mit unserem Grundgesetz (!) absolut unvereinbaren jüdischen Politikverständnisses in Sachen „Angriffskrieg“ (Art. 26 GG) kann der deutsche Bundestag zum Instrument der Profiteure einer bourgeoisen „Zivilisierung“ (Marx/Engels) von Palästina und des ganzen Nahen Ostens gemacht werden: diesem antagonistischen WIDERSPRUCH argumentativ zu begegnen ist in Deutschland außer mir – von Ausnahmen abgesehen – niemand gewachsen. Leider!

Fundamentalopposition, wie ich sie mit der Kritik am Bruch von Art. 26 GG und Art. 87a GG vortrage, wird auch deshalb als illegitim und als undemokratisch entwertet, weil dieser Verfassungsbruch doch – bitte schön – von den beiden wichtigsten Verfassungsorganen selbst (Bundestag und BVerfG) vollzogen worden sei.

In der Debating-Debatte ….

…. „agieren die Redner als Anwälte einer nicht notwendigerweise von ihnen geteilten Sichtweise. So durchdenken sie auch ungewohnte Argumentationslinien und erkennen die Legitimität der Gegenmeinung. Das Vertreten einer oft fremden Meinung befreit von der Last, Opposition als Angriff auf die eigene Persönlichkeit wahrzunehmen und ihr aggressiv zu begegnen. Reflexion und kritisches Denken werden beim Debattieren ebenso geschult wie Bewusstsein für Sprache und Kultur.“
 

In einem Punkte ist das Lernzielversprechen der Veranstalter berechtigt, nämlich dem, Angriffen zukünftig mit professioneller Distanz zu begegnen – also WIDERSPRUCH in der Sache nicht länger mehr als persönliche Beleidigung aufzufassen – das könnte in der Tat durch systematisches „Debattieren“ erlernt werden; „könnte, könnte“, denn nachhaltiger und effektiver ist zweifellos der Erwerb jenes Hintergrundwissens, das erst die – für jeden absolut unerlässliche – persönliche Beziehungs-, Führungs- und Kampfkompetenz „professionell“ werden lässt. Eines Hintergrundwissens, das auch nicht vor der Erkenntnis halt macht, dass es im wirklichen Leben nicht um das Ausfechten von Meinungen, sondern um die Verwirklichung von Interessen geht!

Wer Interessen als Meinungen verkaufen kann, der tut dies einzig aus einem systemstabilisierenden Interesse heraus.

Was aus dieser Formulierung ersichtlich wird, das ist als Ausbildungsziel das Leitbild des Anwalts, der im Geschäftsinteresse seines Mandaten agiert, und handele es sich bei diesem um einen Kriegsverbrecher, dem in Den Haag der Prozess gemacht wird. Oder um einen Bankrotteur, um ein altes Mütterchern oder um einen Kinderschänder.

Zusammenfassend gesagt hat sich der Glaube, dass durch Debating „Reflexion und kritisches Denken“ geschult werden würden, in den vergangenen 200 Jahren der Existenz dieses Qualifizierungsmodells als Selbsttäuschung herausgestellt, verlangt doch die Ausbildung zum Wirklich-Denken-Können eine Systematik, in deren Zentrum nicht das an „Geschäft“ – sprich: an Maximierung von Zugewinn bzw. Minimierung von Verlust – interessierte Geschäftsinteresse, sondern das an Erkenntnis/Wahrheit interessierte Erkenntnisinteresse Regie führt.

Unmissverständlich provokativ formuliert: nur Persönlichkeiten mit meiner – in diesem BLOG und in Foren exemplarisch vorgeführten – Beziehungs-, Führungs- und Kampfkompetenz haben das Format, auch die mit institutioneller Macht – sei sie formeller, sei sie informeller Natur –  gepanzerte gegnerische Persönlichkeit auf den Stock zu setzen!

Darunter auch die Eleven der WORLD UNIVERSITIES DEBATING CHAMPIONSHIP, denn im Debating verhindern die strengen Regeln genau das, was sie ja auch so systemstabilisierend macht, nämlich die Entfaltung von Fundamentalopposition und damit einer „politische Willensbildung des Volkes“ (Art. 21 GG), die von einem demokratischen Kapitalismus zu einem demokratischen Sozialismus führen könnte. Und wer sich nicht an die „Kritik der herrschenden politischen Ökonomie“ und ihrer Profiteure heranwagt, dem gebricht es politisch an der einzig erfolversprechenden Führungs- und Kampfkompetenz.

Das Interesse an Die Kraft des WIDERSPRUCHs (so das Motto der 33. „studentischen Weltmeisterschaft“) erschöpft sich – provokativ formuliert – in rhetorischer Kraftmeierei: „Erleben Sie die überzeugendsten jungen Redner der Welt“, Redner, die m. E. per Debating nur gelernt haben, wie man mit Phrasendreschmaschinen intellektuelles Stroh zu Geld  machen kann. Auf diese Art von Elite aber müssen wir zukünftig verzichten.

Denn: wirklich denken lernen und – in jeder Lage! – auch wirklich denken KÖNNEN – nur das ist der Schlüssel für den Ausstieg aus der selbst verschuldeten persönlichen Unmündigkeit durch (Selbst)Kritik und (Selbst)Erkenntnis!

Widerspruch ist nun mal nicht gleich WIDERSPRUCH! Es gibt da qualitative Unterschiede.

Ergänzt am 03. 01. 2013

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