Die Sehnsucht nach „Identität“ aus Mangel an Führungs- und Kampfkompetenz

  • „Die harsche Kritik etwa an einem Predigtzitat wie ‚Nichts ist gut in Afghanistan‚ ist nur durchzuhalten, wenn persönliche Überzeugungskraft uneingeschränkt anerkannt wird.“ (Margot Käßmann)
  • Nach Gerhard Schröders Rücktritt vom Parteivorsitz sucht die SPD verzweifelt ihre Identität – wieder einmal. Schröder gab die Antwort der postmodernen Mediengesellschaft: „Für Erkennbarkeit sorgen Personen. Leute, wir sind in Amerika.“ (Die Zeit 8/2004)
  • Oskar Negt spricht im vorwärts von „sozialer Gerechtigkeit“ und „demokratischem Sozialismus“ als dem „sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Identitätssiegel“.
  • Unter den rund sechs Millionen Juden Israels leben nach offiziellen Schätzungen 250.000 Gastarbeiter, darunter rund 150.000 illegal eingewanderte. Für den israelischen Innenminister Jischai – aber nicht nur für diesen – gefährden sie die “jüdische Identität” des Staates.

Dem hier zitierten Verständnis zufolge ergibt sich die „Identität“ einer „natürlichen“ Person, wie Frau Käßmann, oder einer juristischen Person, wie sie die SPD oder der Staat Israel verkörpern, aus „Ideen“und „Zielen“ die sowohl „grundlegend“ als auch „besonders“ sein müssen, soll es doch in der Wirklichkeit so etwas geben wie eine sozialdemokratische, eine christliche, eine jüdische oder eine nationalsozialistische „Identät“ – um nur einmal vier von unendlich vielen „Grundhaltungen“ aufzuführen.

Meine Eröffnungs-These lautet:

Identität ist in Wirklichkeit das Resultat einer
von irgendwelchen sichtbaren Machthabern bzw. einer verinnerlichten moralischen Instanz

an eine bestimmte Person herangetragene Erwartung, in

mehr oder minder rigide sanktionierter
Übereinstimmung mit einem bestimmten Wertekanon
zu denken und zu handeln.

Anders gesagt: Die Sehnsucht nach „Identität“ mit irgendeiner Größe, die besser, reiner, größer, mächtiger, reicher, schöner ist, als ich es bin, das ist das Charakteristikum des „außengeleiteten Persönlichkeit“ (D. Riesman), von mir auch bezeichnet als Geltungssüchtiger, als OPFERMENTALITÄTER, als schuldbewusster Gläubiger, als Ignorant – kurz: als Amateur in Sachen professionelle Beziehungs-, Führungs- und Kampfkompetenz.

Dieses Verständnis kommt z. B. in der eingangs zitierten Käßmannschen Äußerung zum Ausdruck, (die ich schlussendlich noch analysieren werde).

„Identität“ erwächst also generell immer aus der Befolgung von Gesetzen und Geboten, ist aber in biologistischen Ideologien darüberhinaus bereits in der natürlichen Abstammung der Person , also zwangsläufig angelegt: man ist „Jude“, „Kölner“ oder „Bayer“, wenn man von einer „jüdischen“ bzw. „kölschen“ bzw. „bayerischen“ Mutter geboren worden ist. Und zwar egal, ob man das sein will oder aber nicht!

Eine Zweckbestimmung von Identität besteht also in der Möglichkeit des Interessenten – das ist derjenige, der die Kriterien festlegen /definieren / bestimmen kann – ein bestimmtes Objekt (wieder) zu erkennen, das Besondere in eine Schublade des Allgemeinen packen zu können. Beispiele: Geschlechtsmerkmale, ethnische Merkmale, Muttersprache – kurz: jedes beliebige biologische, psychologische, politisch-ökonomische Merkmal wie das bekannte 16-jährige katholische Landarbeitermädchen aus dem Bayerischen Wald; oder das türkische Kopftuchmädchen (Sarrazin) aus Berlin Neukölln; oder das Gendergequatsche als Geschäftsidee der Plappernden Kaste.

Von der Fähigkeit zur Identifizierung profitieren sowohl die Subjekte wie die Objekte einer Handlung: wer sein Opfer ausmachen kann, der hat leichteres Spiel, es sei denn, das Opfer identifiziert ihn frühzeitig als (potentiellen)  Täter. Auf dieser Erkenntnis beruhen dementsprechend  nicht nur politische Handlungen, sondern es beruhen darauf alle Wissenschaften, alle Beurteilungs und Bewertungssysteme und darunter insbesondere der Anspruch, wirklich denken zu können: wer das Objekt seines Erkenntnisinteresses – wie hier „die Identität“ – nicht bestimmen / identifizieren kann, kann auch nicht wirklich beurteilen, sondern operiert mit Fehl- und Vorurteilen /Ressentiments!

Bleiben wir beim Thema „Identität im Selbstverständnis: WOZU? „Übereinstimmung“ ist  hier die Folge von (Anpassung an eine) Zuschreibung, von mehr oder minder freiwilliger Unterwerfung, die ihrerseits die damit verbundene Einschränkung von persönlicher Unabhängigkeit  mit der (Schein)Befriedigung bestimmter Bedürfnisse und Interessen – insbesondere dem nach „erkennbarer“ Zugehörigkeit – vergütet, ein Bedürfnis/Interesse, das dem Einzelnen das Gefühl der Akzeptiertheit, das Gefühl des Angenommenseins, das Gefühl der Sicherheit, das Gefühl der Geborgenheit u. ä. m. vermitteln soll – und wohl auch vermittelt, ist doch nichts so machbar wie Gefühle!

Beispiele: die Beziehungen von Gutsherr und Gesinde, von Fußballverein und Fan.

Diese Gefühle der „festen Burg“, des Bodens unter den Füßen versprechen deshalb zwangsläufig auch alle „alleinseligmachenden“, „identitätsstiftenden“ Religionsgemeinschaften / „Tendenzbetriebe“, vorausgesetzt allerdings, der Gläubige stimmt mit der „Linie“ seiner ihm Vorgesetzten überein. Doch wehe dem Häretiker, dem Dissidenten, dem Abweichler, dem Revisionisten, dem WIDERSPRUCH: er landet unwiderruflich im sozialen Abseits, im „Reich des Bösen“ (M. Luther)

Betrachten wir – zwecks Infragestellung / disagreement dieser meiner Behauptung – beispielsweise den totalitären Staat, der das Prinzip der Identität von Führer, Volk und Vaterland auf die einprägsame Formel EIN VOLK-EIN REICH – EIN FÜHRER gebracht hatte, die ihrerseits in der tausendjährigen Traditionslinie einer Untertanensozialisation durch Kirche und Königtum stand, die ihrerseits wiederum den KW (Kaiser Wilhelm) Zwo 1914 – angesichts der Bewilligung der Kriegskredite durch die SPD – zu der Emphase verleitet hatte: „ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“ 

Das „Identitätsgebot“ ist hier  – jedoch nicht nur bei den  „Völkischen“ –  als antidemokratische, herrschaftssichernde Forderung an „das Volk“ bzw. die Anhängerschaft  gebraucht. Das Identitätsgebot diskreditiert Kritik an den Herrschenden als „Nestbeschmutzung“, abstrakt: als Negation von „Identität“.

1914 also ist sie anzusetzen, die Geburtsstunde unserer heutigen „Volksparteien“, die ja nach WK Zwo mit der Gründung der Christlich Demokratischen Union (CDU/CSU) und der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) – „Union“ meinte bei den „Christlichen“ gemäß „katholischer“ Tradition immer den eigenen Anspruch darauf,  die staatstragende „Einheits-“ oder eben „Volkspartei“ zu sein – 1945ff. einen Teil jener 8,5 Millionen „Volksgenossen“ der ersten wirklichen (und damit bisher einzigen) Volkpartei abgegriffen haben, welche sich am 8. Mai 1945 immerhin noch in der Mitgliederkartei der NSDAP befunden hatten; 1959 dann haben auch die SPD-Führungskräfte die Zeichen der Zeit erkannt und ihren Verfassungsauftrag (Art. 14 GG und Art. 24 bzw. 26 GG auf der Basis von Art 21 GG kämpferisch zu verwirklichen) zugunsten jenes Linsengerichts, an die Fleischtöpfe der Macht kommen zu können, verraten.

Die „Einheit“ Deutschlands in Frieden und Freiheit „wieder“ herzustellen, das war auch das erste Gebot des Bonner Grundgesetzes, und es widerspiegelte jenes politisch-ökonomische Grundgesetz der Herrschenden, diesen Zwang geradezu, ihre Herrschaft  auf weitere Territorien und Einrichtungen ausdehnen zu müssen, jenes „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ also mit der Marschrichtung  Zentralisation und Akkumulation des Kapitals in den Händen weniger.

Diese von den „Erfordernissen“ des raffenden Kapitals angestoßenen „Fusionen“ und Liquidierungen  von Unternehmen, Ländern und Erdteilen, wie sie heute unter dem Markennamen „Globalisierung“ oder  „Verteidigung des Euro-„ oder des „Dollar-Raums“ kursieren, bereits aber 1848 vorhergesehen worden sind: sie sind es, die den Fetisch „Identität“ – konkret: Währungsunion, westliche Wertegemeinschaft etc. – zerfetzen, weshalb  dieser tagtäglich von der Plappernden Kaste neu erfunden und als Erfordernis verkauft werden muss!

Und die „natürlichen“ Personen: wie sieht es beispielsweise bei Dir – oder Deinen Lieben – aus mit persönlichem Einheitsstreben,  Streben nach „Identität“, nach „Authentizität“?! Womit in Dir willst Du denn gerne „übereinstimmen“? Doch bestimmt nicht mit Deinem inneren Schweinehund?! Oder doch: OPFERMENTALITÄTER?!

Ein geradezu augenfälliger WIDERSPRUCH zu diesem „Grundbedürfnis“ scheint die Expansion der „Single-Generation“ zu sein; ich spreche hier von jungen Erwachsenen, die mit einer wirklichen Bindung, wie sie sich aus dem Rollenfeld „Familie“ ergäbe, heutzutage ihre ganz großen Probleme haben. Statt Kinder zu kriegen wird von ihnen das wirklich identitätsstiftende Bedürfnis/Interesse am Kinderhaben vorgeblich „sublimiert“ durch „Andockungen“ an die (modisch changierenden) „Trends“ im Arbeits- und Freizeitverhalten, wobei nicht nur das Cocooning beispielsweise einen Trend markiert, der sich ganz hervorragend vermarkten lässt. Ich denke da an das süffige Geblubbere über „Authentizität“ in diversen Magazinen vermittels „Erkennbarkeit“ (G. Schröder) per „gleichem Geschmack“: die „Latte-Macchiato-Typen“, die „Toskana-Fraktion“, die „digitale Boheme“, die „Neonazis“, die „Antideutschen“, die „Ökos“, „Anthros“, „Bhuddis“, „Yogis“, „Müslis“ und all die anderen (virtuellen) Sektenmitglieder – sie alle eint das Interesse  an Harmonie, an Wellness, an Ruhe, an Annahme – kurz: an URLAUB / ERLÖSUNG vom WIDERSPRUCH! „Drum erlöse uns von dem Übel….“ Das nämlich ist des Pudels Identitäts-Kern:

Die eigene Unfähigkeit in punkto persönlicher Beziehungs-, Führungs- und Kampfkompetenz:

Wem nützt nämlich wirklich  meine UNFÄHIGKEIT, den WIDERSPRUCH in mir – bzw. den WIDERSPRUCH Dritter – nicht tolerieren, nicht aushalten, nicht herausfordern, geschweige denn loben oder gar lieben zu können?!

Dies nämlich ist – herausfordernd formuliert – die Frage aller Fragen, ist doch der Umgang mit dem WIDERSPRUCH für jeden einzelnen DAS Problem aller Probleme! Und deshalb ja auch DER zentrale Beweggrund für die Erfindung und Verbreitung von Religionen und anderen politischen Weltanschauungen! Dazu mehr im nächsten Essay!

Dieser Frage aller Fragen hätte sich dementsprechend auch Margot Käßmann stellen müssen, denn genau die von mir behauptete Unfähigkeit/Inkompetenz ist es, die weltweit zugleich zum Zerfall/Niedergang  traditioneller Körperschaften wie Familie, Karrieren, Unternehmen, Vereine, Parteien, Verbände oder Staaten führt – man denke hier nur an die Gründe für den Nieder- und Untergang der DDR – als auch zur Flucht in die unverbindliche Verbindlichkeit von Peergruppen , von denen die Chat-Foren ein treffliches Bild vermitteln, oder aber die Beziehungskisten der Mafiosi, der Banker, der Kleriker oder der Outsorcer beispielsweise!

Und wer da die Illusion verbreitet, man könne diesen Zerfallsprozess mit Wellness-Angeboten – ein Brüller der Netzwerker-Gruppe ist die Reanimation der SPD als „atmende Partei“ – umkehren, der beschleunigt in Wirklichkeit den Niedergang einer „Volkspartei“, denn „Wellness“ und „Versicherung“, das können andere Marktteilnehmer besser bieten als eine – weil damit überfordert – unglaubwürdige „Kümmererpartei„!

Eine Partei hat eine „Kampforganisation“ zu sein, oder sie muss sich die Kritik gefallen lassen, als Beute von Karrieristen in das Privateigentum von Seilschaften und Netzwerkern überführt, also privatisiert worden zu sein.

Die platte Forderung nach „Identität“ – sei sie gerichtet an natürliche oder an juristische Personen – ist in meinen Augen also (Denkanstoß!) gemeingefährlich und fortschrittshemmend , weil sie einzig und alleine im Dogmatismus und im Totalitarismus ihre totale Erfüllung finden kann. Gerhard Schröder hat dies deutlich gemacht, wenn er sagte: identifizieren könne man sich nur mit einer Person, und zwar einer, die man als Vorbild auserkoren hat.

Wer sich also mit dem „katholischen Glauben“ beispielsweise identifizieren möchte, der hält sich am „sinnvollsten“ an die Anweisungen und Gebote seines ihm von oben vorgesetzten Kirchendieners/Funktionärs, und die gleiche Empfehlung gilt  auch dem SPD-Karrieristen im Lohn- und Ehrenamt, wenn denn aus ihm noch was werden soll….! Wer kritisiert wird – hier wie dort – als Nestbeschmutzer diskreditiert und von den Identitäts-Siegelbewahrern ignoriert, wenn nicht gar diskriminiert und ausgestoßen.

Denn worin sollte es bestehen, das „sozialdemokratische Identitätssiegel“, oder die „jüdische Identität“ des Staates Israel?! Dies ist keine rhetorische Frage, denn sie wird von mir auch beantwortet, indem ich mich wiederhole: sie sollte bestehen in der Anpassung an und Unterordnung unter Anweisungen und Gesetze, die einem „höheren“ Zweck dienen, als meiner Selbstverwirklichung – wobei es denkbar und erstrebenswert wäre, die eine Zwecksetzung – zumindest partiell und temporär – mit der anderen Zwecksetzung in Übereinstimmung zu bringen!

Die Identifikation mit „meiner“ Firma beispielsweise würde mir dann erleichtert, wenn ich zugleich Arbeits- und Lohnzufriedenheit erleben KÖNNTE. Und mit „meiner“ Partei, wenn ich sie als Propagandistin (gemäß Art. 21 GG) ihres originären Verfassungsauftrags (Art. 14 GG und Art. 26 GG) bewundern KÖNNTE. Das aber hat etwas mit persönlichem  „KÖNNEN“ zu tun.

Doch nicht nur: die Partei müsste diese Leistung auch wirklich erbringen! Gilt doch auch für sie das eherne Gesetz: kein LOB ohne LEISTUNG! Es gibt also eine Grenze der Anpassung und Einordnung. Diese wird dann von mir gezogen, wenn ich realisiere, dass dieses existentielle Grundbedürfnis – die AUFHEBUNG DER WIDERSPRÜCHE in der „EINHEIT DER GEGENSÄTZE“, die Aufhebung also des „KAMPFES DER GEGENSÄTZE“ – dass also dieser Traum der Menschheit von einem Machthaber missbraucht wird, indem er die unabdingbaren personalen Voraussetzungen für das Gelingen seines Versprechens verschweigt.

Beispiel:Unzucht mit Abhängigen

Jeder ist seines (Un)Glückes Schmied ist eine dialektisch zu verstehende Volksweisheit, insofern sie „die Einheit und den Kampf der Gegensätze“ zum Ausdruck bringt, will sagen: in der Tat bist du persönlich verantwortlich für das Gelingen deiner persönlichen Zielsetzungen, doch klar ist auch, dass du für das „Schmieden“ von persönlichen Zielsetzungen und zielführenden Handlungen professionell qualifiziert werden / sein musst! Glück und Erfolg als Resultat von Arbeit setzt nämlich  Leistungsfähigkeit und hier insbesondere eine professessionelle Beziehungs-, Führungs- und Kampfkompetenz „voraus“, die man sich am sinnvollsten in schulischen und universitären Lernprozessen aneignen und professionalisieren könnte[1], wenn – ja wenn! –  die Machthaber an diesen Kompetenzen interessiert wären, was sie kultürlich nicht sind, wie man es in allen Aus- und Weiterbildungseinrichtungen der Welt studieren kann.

Und so wie der auf Leistung beruhende Erfolg – geschweige denn das Glück –  nie permanent sein, sondern nur einen mehr oder minder langen Augenblick währen kann, so ist die „Einheit der Gegensätze“, die Harmonie, die (innere) Ruhe, das seelische Gleichgewicht etc. – und diese Zielsetzungen sind es ja, die mit dem Traum/Begriff von „Identität“ verknüpft bzw. sogar erlebt werden, wie in der gelungenen Vereinigung, im Orgasmus, beispielsweise! – immer nur der Ausnahmezustand, der Höhepunkt persönlichen Strebens (oder eines Zufalls).  Aber eben nicht der Alltag, den wir meistern müssen, besteht dieser doch in der professionellen „Vor-„ und „Nachbereitungen“ unserer Zielsetzungen, auch des Orgasmus, versteht sich….!

Mein Thema aber ist das süchtige Sehnen nach bzw. das manipulative Versprechen von „Identität“, und dieses ist bei einem Individuum um so stärker ausgebildet, je inkompetenter diese Person in Bezug auf den professionellen Umgang mit WIDERSPRÜCHEN ist. Es ist diese krankhafte „Sehnsucht“ des OPFERMENTALITÄTERs nach Heilsversprechern einerseits und widerspruchsloser Gefolgschaft andererseits, die nicht nur die „Politikverdrossenheit“ – also das Jiepern nach wie die Wut über die Inszenierung und Skandalisierung von Nebenwidersprüchen –  sondern beispielsweise auch die „moralische“ Forderung an Margot Käßmann nach Rückzug vom Amt der EKD-Ratsvorsitzenden erklärbar werden lässt. Hier eine dieser typischen „Begründungen“:

Der Tübinger Moraltheologe Dietmar Mieth, ein Katholik, findet das richtig: „Sie zeigt der Politik, wie man wirklich konsequent handeln KANN, denn sie KANN nicht mehr dieselbe im Amt sein, die sie war, als sie es anfing.“ Sie KÖNNE „den Fehler nie wirklich entsorgen“. Eine unterschwellige Schmäh würde immer bleiben, ihre Autorität hätte auf Dauer einen Knacks. „Die Öffentlichkeit KANN zwar sagen, wir stehen zu dir, aber ein Fehler ist ein Fehler, MAN KANN das öffentliche Gedächtnis nicht auslöschen.“ (Aus: Der Spiegel 09-2010; Hervorhebungen GW)

Wer aber ist „die Öffentlichkeit“ und warum ist „ein Fehler ein Fehler“ (sehr logisch), und warum „KANN“ Frau Käßmann das nicht mehr: „die selbe sein“, WOZU müsste sie das überhaupt: „die selbe sein“, und warum haben Dazulernen und „Reue“ in ihrem Falle keinen WERT? Und WER eigentlich ist dieser „man“, der das Auslöschen nicht KANN?! Jeder von uns!? Ich jedenfalls nicht! Und warum, zum Teufel, gibt es dann überhaupt noch das Institut der Beichte in der katholischen Kirche?!

In der katholischen Kirche gibt es ein klares System, um Menschen einen Ausweg aus ihrer Schuld zu ermöglichen. Der Sünder muss seine Tat bereuen, und das bedeutet, dass er seine Schuld anerkennt und sie ihm von Herzen leid tut. Mit dieser „Reue im Herzen“ bekennt der Sünder seine Fehler bei der Beichte. Der Beichtvater (…) spricht aber auch den Schuldigen von seiner Sünde frei. (ebenda)

Das Schlimme ist, auch Frau Käßmann „begründet“ ihren Rücktritt mit diesen Miethschen „Argumenten“:

„Am vergangenen Samstagabend habe ich einen schweren Fehler gemacht, den ich zutiefst bereue. Aber auch wenn ich ihn bereue, und mir alle Vorwürfe, die in dieser Situation berechtigterweise zu machen sind, immer wieder selbst gemacht habe, KANN und will ich nicht darüber hinwegsehen, dass das Amt und meine Autorität als Landesbischöfin sowie als Ratsvorsitzende beschädigt sind.“

Warum – besser gefragt – WOZU „will ich“ nicht darüber hinwegsehen?! Richtig: Frau Käßmann KANN es nicht! Viele von denen, die – wie sie – ihre Unfähigkeit/Inkompetenz kaschieren wollen, ersetzen den zutreffenden Begriff „können“ durch den schmeichelhaften Begriff „wollen“!

Den Hauptwiderspruch, den Frau Käßmann nur akzeptiert, ist anscheinend der zwischen ihrer persönlichen Haltung namens – offensichtlich folgenloser – „Reue“ und „den“ öffentlichen Erwartungen an den Amtsinhaber, die ja schon von Herrn Mieth instrumentalisiert worden sind – und mit denen auch sie sich offensichtlich „identifiziert“. Als „Begründung“ führt sie nämlich aus:

Die Freiheit, ethische und politische Herausforderungen zu benennen und zu beurteilen, hätte ich in Zukunft nicht mehr so, wie ich sie hatte. Die harsche Kritik etwa an einem Predigtzitat wie ‚Nichts ist gut in Afghanistan‘ ist nur durchzuhalten, wenn persönliche Überzeugungskraft uneingeschränkt anerkannt wird.

Mit diesem Denkanstoß verweist Frau Käßmann auf die realen, die massenmedialen Machtverhältnisse, in denen eine illegale Kriegsführung beispielsweise ja als normale Fortsetzung von „Politik“, ja geradezu als adäquate Ausdrucksform von „Krieg gegen den Terror“ definiert wird. Und auch sie kapituliert mit der Phrase vom „beschädigten Amt“ – (wie die Bundesregierungen) einen „Angriffskrieg“ (Art. 26 GG) zu führen, das beschädigte einen Amtsinhaber wirklich – vor diesem diktatorischen „Identitätsgebot“, weil sie sich dieser Übermacht nicht gewachsen fühlt – und ihr objektiv auch nicht gewachsen ist, gewachsen sein KANN. Denn (auch) Frau Kaßmann fehlt nicht „die Freiheit“, sondern die Kompetenz, jenem unmenschlichen Anspruch an „Unfehlbarkeit“, genauer gesagt die Kompetenz, einer persönlich „uneingeschränkten“ – sprich: nicht bestreitbaren –  Widerspruchsfreiheit mutig entgegen treten zu KÖNNEN. Kurz gesagt:

Auch ihr gebricht es an professioneller Kampfkompetenz!

Wenn sie sagt: „Ich weiß aus vorangegangenen Krisen: Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand“, dann bekundet sie  eine virtuelle „Glaubensüberzeugung“, die ihr persönlich momentan  das Gefühl von Geborgenheit vermitteln, sie aber nicht aus ihrer Ohnmacht herausholen und befähigen dürfte, den politisch-ökonomischen Kräften, die sie – wie von ihr ja auch erkannt – zum Rücktritt gezwungen haben[2], Paroli zu bieten, ihnen zu widerstehen.(O. k.: niemand weiß, ob sie mit diesem spektakulären Abgang  nicht einfach nur eine für sie persönlich gute Gelegenheit beim Schopf ergriffen hat!?)

Doch genau den Widerständler braucht das Land.

Stattdessen wird das, was man Oskar Lafontaine bis auf den heutigen Tag – klar: in verleumderischer Absicht! – zum Vorwurf macht, plötzlich von denen, die Frau Käßmann bis dato diskreditiert hatten, zum Leitbild erhoben: der „freiwillige“ Rücktritt vom Amt!

Ich denke, es brauchte in einer von (antagonistischen) Widersprüchen geprägten Welt stattdessen eine Vielzahl von Führungspersönlichkeiten, die es wirklich gelernt haben, in ihrem „Amt“ auch dann „durchzuhalten“, wenn ihre „persönliche Überzeugungskraft“ nicht von jedem Interessenten – und hier insbesondere nicht von ihren Gegnern oder gar ihren Feinden (auch die gibt es nämlich in der bösen Wirklichkeit) – „uneingeschränkt anerkannt wird.“

Meine Konzeption von professioneller Führungs- und Kampfkompetenz basiert ja geradezu auf der Erkenntnis, dass es in einer Welt der (antagonistischen) Widersprüche nicht nur unmöglich, sondern nicht selten auch ein wirklich unverzeihlicher Fehler ist, es allen recht machen zu wollen! Moses, Paulus oder Luther jedenfalls sollen hart im Geben, aber auch hart im Nehmen gewesen sein – und auch wir Ohnmächtigen brauchen gerade heute wieder „im Amt“ befindliche Führungspersönlichkeiten, die genau dazu/dafür qualifiziert sind, das von mir raffendes Kapital genannte goldene Kalb – das bei den Altvorderen auf den  schönen Namen Mammon hörte – vom Altar seiner Weltbeherrschungstrategie namens „Globalisierung“ herunter zu holen.

Wir brauchen wirkliche Kämpfer, die mit dem wirklichen Beweger und Schöpfer des Himmels und der Erden – dem WIDERSPRUCH – wirklich professionell umgehen können!

Identität WOZU? Nun: bringen wir Ohnmächtigen vorerst uns und die Verhältnisse dadurch zum Tanzen, dass wir uns und ihnen ihre Melodie vorsingen. Erkennen und loben wir im Gesang den WIDERSPRUCH, auch den mit uns selbst, eröffnet doch nur diese progressive Haltung jenen persönlichen und sozialen Lernfortschritt, auf den es wirklich ankommt.

Denn  woher, bitte schön, soll ich wissen, wann ich „authentisch“ bin, bin ich doch „progressiver“ Weise der, der ich sein werde!


[1] Meine Forderung nach „Wirklich-Denken-Können“ wird in http://www.dradio.de/download/116824/ wie folgt beschrieben: Macho: „(…) wenn man ernst nimmt, dass in diesem geisteswissenschaftlichen, künstlerisch-kulturellen Bereich auch Reflexionswissen geschult werden muss, damit man sich da überhaupt bewegen kann, dann wird das sicher etwas sein, was man sowohl in der Schule als auch im Bildungssystem der Universität stärker als bisher bewähren muss. Dann könnte sich allerdings herausstellen, dass gerade die Studienreformen, die wir pisa-analog gerade durchgeführt haben, kontraproduktiv sein werden.“

[2]Aus dem Nähkästchen geplaudert liest sich die Strategie wie folgt: Es „wird von den Medien eine moralisch äußerst empfindliche Öffentlichkeit hergestellt, ohne dass die Medien als Ganzes über alle Zweifel erhaben wären.“ (Der Spiegel 09/2010) „Eine moralisch äußerst empfindliche Öffentlichkeit hergestellt“ – eindrucksvoller kann man die Meinungs-Macher-Masche nicht formulieren.

Über blogfighter

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3 Antworten zu Die Sehnsucht nach „Identität“ aus Mangel an Führungs- und Kampfkompetenz

  1. blogfighter schreibt:

    Was bedeutet denn schon Identität?

    „Ich weiss nicht mehr, wer ich bin. Ist das ein Problem?“

    Antwort:

    Liebe Frau R.
    Wenn es ein Problem ist, dann ein gewaltig überschätztes. Denn ist Ich nicht ohnehin ein anderer? (…)

    Ich nehme nicht an, dass Sie von einer plötzlichen, alles umfassenden Amnesie erfasst wurden (vgl. «The Bourne Identity»), sondern dass Sie möglicherweise etwas an sich entdeckt haben, das nicht zu Ihnen zu passen scheint. (…)

    Das mag im Einzelfall problematisch sein, aber es gehört zur Identität wie das Amen zur Kirche. Denn Identität ist ein in sich krisenhaftes, da uneinheitliches Gebilde. Es besteht aus vielen verschiedenen Identifikationen, die unterschiedlich stabil sind.

    Diese Identifikationen entstehen zum einen durch Prozesse, in denen Sie sich mit jemandem identifizieren oder aber in denen Sie von jemandem identifiziert werden: als Geliebte, Vorsitzende des Tennisclubs, als stets gut gelaunte Person, als ungezogene Tochter – you name it. Und aus all diesen Identifikationen muss man nun etwas (eine «Identität») machen. Das bedeutet, sie hin und wieder auch mal umschreiben zu müssen.

    Von Peter Schneider. Aktualisiert am 10.07.2013

  2. profiprofil schreibt:

    Zum Thema “jüdische Identität” des Staates Israel und “Judentum“:


    Heiratstipps von Rechtsradikalen
    16.03.2010

    Bar Refaeli hat Ärger. Es sind aber nicht etwa eifersüchtige Fans, die gegen ihre Beziehung zu Schauspieler Leonardo DiCaprio zu Felde ziehen, sondern politische Aktivisten aus ihrer Heimat Israel. Baruch Marzel, ein jüdischer Rechtsextremist, schickte Refaeli einen Brief, in dem er sie drängte, die Liason mit dem Teenie-Schwarm aufzugeben.
    “Heirate lieber einen netten jüdischen Jungen”, zitieren israelische Zeitungen aus der Model-Schelte. “Komm zu Verstand. (…) Heirate nicht Leonardo DiCaprio. Schädige nicht die kommenden Generationen.” Marzel hatte im Namen der Organisation Lehava (“Flamme”) an die in den USA lebende Schönheit geschrieben. Lehava lehnt Ehen zwischen Juden und Nicht-Juden kategorisch ab.
    Und so heißt es auch in Marzels Schreiben: “Assimilation ist schon immer ein Feind der Juden gewesen.“ Und weiter: “Es ist kein Zufall, dass du als Jüdin geboren worden bist. Deine Großmutter und deren Großmutter hätten sich nicht träumen lassen, dass einer ihrer Abkömmlinge eines Tages die kommenden Generationen vom Judentum abtrennen wird.“

    Das Judentum ist der Erfinder und Propagandist des biologistischen Reinheitsgebots.

  3. profiprofil schreibt:

    Das ist so ein für die Plappernde Kaste typischer „Gedankengang„:

    Das Publikum ist erstaunt und reagiert langsam zornig: Wann endet die Vorstellung? Wann erscheint der echte Außenminister? Wann beginnt die Politik? Guido Westerwelle muss diese Fragen beantworten. Sonst fällt für ihn bald der letzte Vorhang.

    Seitdem Eric Berne die Spiele der Erwachsenen entdeckt hat, ist doch jedem Denker klar, dass wir alle eine „Vorstellung“ geben, dass das Spielen immer „echt“ ist – und dass es dementsprechend auf das WOZU und das WIE und das WOMIT ankommt, nicht aber auf das OB! Infrage stellen muss man die Qualität des Spiels, nicht aber das Spiel als solches.

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