„Lobe Deinen Nächsten wie Dich selbst“, das ist ein Motto, welches dem OPFERMENTALITÄTER per se nicht in den Sinn, geschweige denn über die Lippen käme, weil Selbstverachtung und Autoaggression – eingeschlossen das larmoyante Selbstmitleid und die Unbefriedigbarkeit des eigenen geltungssüchtigen Anspruchsdenkens – ein wirkliches Eigenlob – und damit auch ein Lob! – zwangsläufig nicht zulassen; ebenso keine (Selbst)Liebe. Dafür aber den (Selbst)Hass in allen seinen Erscheinungsformen, von Neid, Missgunst, mobben, intrigieren, plagiieren, bestehlen bis hin zu (Selbst)Mord und -Totschlag! [1]
Das hat mich immer schon interessiert: das WAS, WIE, WOMIT, WARUM und WOZU jener verfluchten Macht der herrschenden Opfermentalitäter über „ihre“ Opfermentalitäter zu ergründen, genauer gesagt: zu wissen und aufzuklären darüber, was deren Welt im Innersten zusammenhält, die Welt der Kälber, die sich immer wieder ihre Metzger selber wählen (müssen)! Dieses ihr zwanghaftes Verhalten hat einen Suchtcharakter, den ich eben als GELTUNGSSUCHT erkannt und als deren „personales“ Produkt ich dann eben den OPFERMENTALITÄTER identifiziert habe – wobei das „natürliche“ Produkt dieser strukturell geforderten und geförderten „Gier“ Umweltzerstörung, Leben auf Kosten Dritter, Verarmung, Verelendung etc. heißt….
In der Süddeutschen Zeitung von heute hat sich mit Jürgen Habermas ein Mann-der-wirklich-denken-kann lesenswert zu Wort gemeldet, den ich für seinen Essay „Ein Pakt für oder gegen Europa?“ loben möchte, weil er, wie ich es seit langem tue, hier auch mit dem Gewicht seiner Lebenserfahrung und seiner Qualifikation wesentliche Denkanstöße zu meinem Generalthema „Funktionen von Politik und Publizistik in der deutschen Demokratie“ vermittelt.
Habermas geißelt hier und heute ein „Verständnis von Demokratie“, das Opfermentalitäter in politische bzw. publizistische Machtpositionen befördert, die nichts anderes im Sinn haben können als den karrieristischen Ausbau ihrer privilegierten Position als Opinionleader der Plappernden Kaste gegenüber den vom jeweiligen „Milieu“ sozialisierten Opfermentalitätern mit der Bezeichnung „Wahlbürger“.
Da ist zum ersten seine Kritik an jener „Orientierung der deutschen Außenpolitik“, die ich als Erster mit „Militarisierung der deutschen Außenpolitik“ auf den Begriff gebracht hatte:
Die nationale Einigung hat in Deutschland einen Mentalitätswandel [2] in Gang gesetzt, der (wie politikwissenschaftliche Untersuchungen belegen) auch das Selbstverständnis und die Orientierung der deutschen Außenpolitik erfasst und in Richtung einer stärkeren Selbstzentrierung verändert hat. Seit den neunziger Jahren wächst allmählich das Selbstbewusstsein einer militärisch gestützten‚Mittelmacht‘, die als Spieler auf weltpolitischer Bühne agiert. Dieses Selbstverständnis verdrängt die bis dahin gehegte Kultur der Zurückhaltung einer Zivilmacht, die vor allem einen Beitrag zur Verrechtlichung des Systems der ungezügelten Staatenkonkurrenz leisten wollte.
Die völkerrechtswidrigen „humanitären Militärinterventionen“ (J. Fischer), als „Responsibility To Protect“ getarnte völkerrechstwidrige „Angriffskriege“ i. S. von Art. 26 GG im Kosovo, in Afghanistan, im Irak oder in Libyen konterkarieren also die Linie der Brandt-Genscher-Regierungen einer Politik des „Wandels durch Annäherung“ auf dem Boden einer „friedlichen Koexistenz“ aller UN-Mitglieder, die schließlich auf die selbe UN-Charta vereidigt worden sind, wie das kriegstreibende Imperium und seine Fremdenlegionen.
Lies zum Thema „Instrurmentalisierung der Nato durch die USA“ das Interview mit Egon Bahr.
Da ist zum zweiten Habermas´ Kritik an jenem “Verständnis von Demokratie“, das von dem bestimmt wird, was ich als Feigheit vor dem wirklichen Feind der Demokratie bezeichnet habe: der Verzicht des Gros der „politischen Klasse“ – die sich insgesamt als Elite versteht und sich als solche auch selbst benimmt/bedient/privilegiert – auf alle wesentlichen „normativen Bindungen“, hier insbesondere der Art. 14, 25 und 26 GG.
Dem liegt ein Verständnis von Demokratie zugrunde, das die New York Times nach der Wiederwahl von George W. Bush auf die Formel von der post-truth democracy gebracht hat. In dem Maße, wie die Politik ihr gesamtes Handeln von der Konkordanz mit Stimmungslagen abhängig macht, denen sie von Wahltermin zu Wahltermin hinterherhechelt, verliert das demokratische Verfahren seinen Sinn. Eine demokratische Wahl ist nicht dazu da, ein naturwüchsiges ( sic) Meinungsspektrum bloß abzubilden; vielmehr soll sie das Ergebnis eines öffentlichen Prozesses der Meinungsbildung wiedergeben. Die in der Wahlkabine abgegebenen Stimmen erhalten das institutionelle Gewicht demokratischer Mitbestimmung erst in Verbindung mit den öffentlich artikulierten Meinungen, die sich im kommunikativen Austausch von themenrelevanten Stellungnahmen, Informationen und Gründen herausgebildet haben. Aus diesem Grunde privilegiert das Grundgesetz die Parteien, die nach Artikel 21 ‚an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken‘.
Insbesondere die Kritik am Missbrauch des Parteienprivilegs von Seiten der SPD durchzieht seit Jahren meine Veröffentlichungen, insofern ich der SPD-Führung vorhalte, den spezifischen Grundgesetz-Auftrag der SPD – „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“ (Art. 14 GG) – zu ignorieren und sich stattdessen in der lukrativen Rolle des Pflegers am Krankenbett des Kapitalismus bequem einzurichten.
Für diesen „Verzicht auf Perspektive und Gestaltungswillen“ führt Habermas folgende Gründe an:
Freilich scheint die Politik heute allgemein in einen Aggregatzustand, der sich durch den Verzicht auf Perspektive und Gestaltungswillen auszeichnet, überzugehen. Die wachsende Komplexität der regelungsbedürftigen Materien nötigt zu kurzatmigen Reaktionen in schrumpfenden Handlungsspielräumen. Als hätten sich die Politiker den entlarvenden Blick der Systemtheorie zu eigen gemacht, folgen sie schamlos dem opportunistischen Drehbuch einer demoskopiegeleiteten Machtpragmatik, die sich aller normativen Bindungen entledigt hat. Merkels Atommoratorium ist nur das auffälligste Beispiel. Und nicht Guttenberg, sondern die Regierungschefin selbst hat (in den Worten der FAZ) ‚die halbe Republik und fast die ganze CDU zum Lügen gebracht‘, als sie den öffentlich überführten Plagiator aus Rücksicht auf dessen Beliebtheit im Amt behielt. Kühl kalkulierend hat sie für ein paar Silberlinge, die sie an den Wahlurnen dann doch nicht hat einstreichen können, das rechtsstaatliche Amtsverständnis kassiert. Ein Großer Zapfenstreich hat die Normalität dieser Praxis auch noch besiegelt.
Die hier von Habermas formulierte Anklage der – in meinen Begriffen – „Profiteure des Messianismus“, der « Profiteure der Opfermentalität » basiert auf der selben Kritik, die auch meine publizistischen Beiträge gegen die kriegerische „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ Libyens fundiert haben, auf der Tatsache nämlich, dass die Plappernde politische Kaste – aus Gründen nicht vorhandener Führungs- und Kampfkompetenz – „das rechtsstaatliche Amtsverständnis kassiert“.
Und er benennt ebenfalls die Medienvertreter als die zweite Säule jener feigen, so unkritischen Machtausübung durch die Plappernde Kaste (s. PS)
Die Medien sind am beklagenswerten Gestaltwandel der Politik nicht unbeteiligt. Einerseits lassen sich die Politiker vom sanften Zwang der Medien zu kurzatmigen Selbstinszenierungen verführen. Andererseits lässt sich die Programmgestaltung der Medien selbst von der Hast dieses Okkasionalismus anstecken. Die munteren Moderator(inn)en der zahlreichen Talkshows richten mit ihrem immer gleichen Personal einen Meinungsbrei an, der dem letzten Zuschauer die Hoffnung nimmt, es könne bei politischen Themen noch Gründe geben, die zählen. Manchmal zeigt der ARD-Presseclub, dass es auch anders geht.
Habermas´ im letzten Satz enthaltenen Appell allerdings halte ich allerdings für Talmi, gibt es doch – und das weiß doch eigentlich niemand besser als der Autor des Buches „Strukturwandel (!) der Öffentlichkeit“ (1962) – strukturelle Gründe
- für den Opportunismus („die herrschenden Gesetze sind die Gesetze der Herrschenden“, BVerfGE 2/1997)
- für den Karriererismus (z. B. Hofberichterstattung, Embedded Journalismen)
- für die Identifikation mit dem Aggressor (Vietnam- , Irak-, Afghanistan-, Libyen-Kriege)
kurz: für die Feigheit der gesamten Plappernden Kaste vor dem wirklichen Feind der Menschheit – und das ist die bis dato unangefochtene Herrschaft des raffenden Kapitals – dessen „Spielregeln“ sich insbesondere die Plappernde Kaste unterwirft, weil ihre privilegierte – sprich hoch bezahlte Position als Spin Doctor und Sprachrohr der „instrumentellen Vernunft“, der „Alternativlosigkeit“ des spekulativ betriebenen Kapitalismus – zerstieben kann wie ein Furz im Winde.
Niemand weiß es besser als der Feigling: „wess´ Brot ich ess´, des´ Lied ich sing! „Manchmal zeigt der ARD-Presseclub, dass es auch anders geht“, lese ich bei Habermas, doch meine Antwort auf seine darin aufscheinende Hoffnung heißt:
Ein guter Mensch sein? Ja, wer wärs´s nicht gerne?
Doch leider sind auf diesem Sterne eben
Die Mittel kärglich und die Menschen roh.
Wer möchte nicht in Fried und Eintracht leben?
Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so![3]
Unsere Zukunft, das sind die GESTALTERMENTALITÄTER, das sind in diesen „finstren Zeiten“ Persönlichkeiten, die wirklich denken können und die – wie Habermas es formuliert – der Auffassung sind, „es könne bei politischen Themen noch Gründe geben, die zählen.“ Und die alles in ihren schwachen Kräften stehende tun, dass der kommende politische Tsunami zum Zapfenstreich der Herrschenden und ihrer Profiteure – und nicht länger mehr zu ihrem erneuten Triumph im Weltbürgerkrieg führt, auf den sie sich in Afghanistan, Irak und Libyen z. B. schon einüben.
PS Zeitgleich erscheint in SPIEGEL-Online ebenfalls eine Kurzbesprechung ein- und desselben Beitrags von J. Habermas: doch mit welch einer Gewichtung einzelner Aussagen, anders gesagt: was mich interessiert, das ist bei SPON absolut nicht von Interesse. Und warum?! Hier eine Antwort des SPON-Autors, die auch auf ihn selbst zutrifft: Habermas „wirft der Branche vor, immer enger mit der politischen Klasse zusammenzuwachsen – und darauf auch noch stolz zu sein. Auch sieht er Themen falsch gewichtet.“ So is it!
[1] LEHRPROGRAMM, S. 3: http://www.wirklich-denken-koennen.de/web/files/26/de/das_LehrProgramm.pdf
[2] Alle Hervorhebungen in den Zitaten sind von mir
[3]Aus: Bertolt Brecht: Über die Unsicherheit menschlicher Verhältnisse.